Samstag, 31. Oktober 2009

Krimi für fantasievolles Einschlafen oder auch nicht

Das Auto


Gabriela Stock , kaufmännische Angestellte, führte seit über 10 Jahren die Buchhaltung eines mittelständischen  Kraftfahrzeugunternehmens, in dem Autos aller Art repariert und von den 30 Mitarbeitern umsorgt wurden.  Klein, mit zierlichen  Händen und Füßen, war sie im Laufe ihrer 35 Lebensjahre rundlicher geworden, als es ihrer Körpergröße angemessen war. Ihre braunen, durch häufige Dauerwellen strapazierten Haare lehnten es schon lange ab sich in eine Frisur zwängen zu lassen und standen  flusig um ihren Kopf ab, was Gabriela noch runder erscheinen ließ.  Ihre weiten, braunen Kleider hüllten sie  formlos ein, bedrängten dafür aber nicht Bauch und Magen, wenn sie sich einen ihrer geliebten Negerküsse einverleibte, die sie bereits früh morgens mit Vorfreude auf ihren Schreibtisch stellte. Für ihre Kollegen war Gabriela so lange, dass sie nicht mehr darüber nachdachten, die braune Maus der Buchhaltung. Nur Fremden fielen in seltenen Fällen ihre mandelförmigen, grauen Augen auf, die allerdings leicht traurig in die Welt schauten, und der sinnliche Kußmund, der beim noch seltener gewordenen Lachen perfekte, weiße Zähne enthüllte.  Da sie ordentlich und unverdrossen fleißig arbeitete, störte es niemanden, dass sie Späßen und kollegialem Frohsinn aus dem Wege ging.
„Sie ist doch von ihrem Mann verlassen worden“, hieß es dann. „Die Ärmste wurde nicht schwanger und er wollte unbedingt ein Kind – es lag eben  an ihr, dass er sich scheiden ließ.“   Dass sie in Gegenwart von jungen Männern zu kleinmädchenhaftem Getue neigte, fiel niemandem mehr auf, weil keiner einen Grund hatte, auf sie zu achten. Es umgab sie eine Aura von resignierter Trübseligkeit, auf die eben keiner scharf war.
      Gabriela lebte seit  sieben Jahren allein mit ihrem Vater in dessen kleinem Haus in einer ehemaligen Kleingartensiedlung im Süden Berlins.
Anton Stock, ehemals Mechaniker in einer Fabrik für mechanisches Spielzeug, hatte noch während seines Arbeitslebens begonnen, selbst mechanisches Spielzeug zu erfinden und herzustellen. Leider war sein Arbeitgeber nie bereit gewesen ihm dies abzukaufen und so hatte er  Haus und Garten damit dekoriert und gefüllt. Seine Frau war mit dieser Marotte schlechter als die begeisterungsfähige, jugendliche Tochter fertig geworden und vor siebzehn Jahren mit einem Liebeslieder trällernden Musiker durchgebrannt.  Vater und Tochter hatten nie wieder von ihr gesprochen, aber Gabriela dachte mitunter wehmütig an die schlanke Erscheinung, die ein erfülltes Liebesleben genießen mochte.          
      Gabriela konnte ihr nicht übel nehmen, dass sie den ungepflegten alten Sack, wie sie ihren Vater insgeheim oft nannte, verlassen hatte. Sie war nahezu unfähig, in ihm die schlanke muskulöse Erscheinung wiederzuerkennen, die sie vom Hochzeitsbild aus dem Fotoalbum kannte. Da er heute meist unrasiert und nachlässig gekleidet war, übersah sie, dass ihr Vater auch mit siebzig noch eine kraftvolle, durchaus männliche Erscheinung bot.Sie ahnte nicht, dass ihm die Blicke vieler älterer Damen folgten, wenn er allein auf den Straßen Berlins unterwegs war.  Sie wusste allerdings auch nicht, dass sein Blick auflebte, sobald er das gemeinsame Heim verließ und da sie ihn selten ansah, bemerkte sie auch nicht die Traurigkeit in seinen Augen, mit der er sie betrachtete.  Als Tatmensch verachtete er die Resignation seiner Tochter und ihre zur Schau getragenen Minderwertigkeitsgefühle mehr, als er sie fühlen lassen wollte.
Die Hühner und den kläffenden Hofhund hatte Gabriela zwar inzwischen abgeschafft, aber die schlammigen Wege bei Regen, der muffige Geruch nach alten Möbeln, von denen sich ihr Vater nicht trennen wollte, und das ewige Klirren und Scheppern der Spielzeuge erfüllten das Haus nach wie vor. Jeden Abend, wenn sie nach Hause kam, erschrak sie , weil die Druidenlampe im Flur sich einschaltete und ein Lichtpendel schwingen ließ, zu dem ein monotoner Dreiklang ertönte. In der Küche kämpfte sie mit der Bedienung der sprechenden Eieruhr und im angebauten Wintergarten, wo sie das Abendessen servierte, wurde sie durch die künstlich wippenden Bäume nervös. Den Brunnen mit dem schwingenden Eimerchen, was voll lief , um sich dann mit einem Platsch zu entleeren, hatte sie voriges Jahr kurzerhand seiner Pumpe beraubt, weil sie das dauernde Schwapp verrückt machte.  Längst verstand sie nicht mehr, wie sie jemals Freude an dem unnützen Gebastel und Gepäpel ihres Vaters haben konnte, blieb dadurch doch alle tatsächliche Arbeit, die mit einem Haus nun mal verbunden war, an ihr hängen. Und sie schaffte sie nur schlecht und recht. Ihre Nachlässigkeit verstärkte den Eindruck vom Verfall des Anwesens zusätzlich.
Wütend saß sie allein im Wintergarten und wartete auf ihren Vater, der sich besonders  von seinem gehegten und gepflegten Lieblingsspielzeug schwer trennen konnte. Jeden Abend rief ihn Gabriela mindestens dreimal zum Essen und das ging ihr unheimlich auf die Nerven. Der alte Saab Baujahr 1970, ein Cabrio und Erinnerung an frühere Zeiten, war sein liebstes Kind. Gabriela konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er in Gegenwart des Saabs   James Bond Allüren pflegte. Einfach lächerlich!  War ihr Vater nach dem dritten Ruf und trotz scheppernder Fensterscheiben noch nicht erschienen, machte sie sich manchmal auf den Weg zur  Garage, weil er das gar nicht leiden konnte. Mit gerafften Röcken stapfte sie die sandige Einfahrt entlang und  freute sich auf seinen unangenehm überraschten Gesichtsausdruck. Meist entschuldigte er sich dann schuldbewusst, dass er die Zeit vergessen habe, weil er noch gar nicht hungrig sei. Und sie wisse ja, dass er leider schwer höre. Stets komplimentierte er sie eilig aus der Garage hinaus, als hüte er einen Schatz. Misstrauisch nutzte Gabriela jede Gelegenheit festzustellen, was er wieder Neues und Teures für dieses unnütze Auto angeschafft hatte, mit dem er sie sowieso nie fahren ließ. Sie musste mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren. Das chromblitzende, lackglänzende und nach Leder duftende Gefährt benutzte er nur selbst und nur , wenn er wochentags Ausflüge mit einem seiner ehemaligen Kollegen machte. Sonntags waren ihm zu viele Sonntagsfahrer unterwegs, die eine Beule hätten verursachen können. Gabriela hasste ihn dafür, dass er nie daran dachte, ihre ereignislosen Wochenenden mit einer Überlandfahrt zu verschönern.  Aber er schien der Ansicht, dass ihre Wochenenden mit notwendiger Gartenarbeit, dem Putz des Hauses und der sonntäglichen Fernsehnacht bei ein paar Martinis hinreichend erfüllt waren.
Während er beim Klappern ihrer Stricknadeln vorm Bildschirm zu schnarchen begann, bemühte sich Gabriela ihre Sehnsucht nach einem Mann zu unterdrücken. Zum Teil mündete das des Nachts in erotische, erregte Träume über diverse Hauptdarsteller eben gesehener Filme. Leider verflog das Lächeln, mit dem sie nach einer solchen Nacht morgens erwachte, sehr schnell, spätestens neben der Eieruhr und dem Wiegenlieder intonierenden Toaster.
Jede zweite Woche oder so lud ihr Vater seinen ehemaligen Kollegen zum Abendessen ein, oder auch mal jemanden, den er  aus dem Automobilclub der Senioren kannte, in dem er Mitglied war.  Gabriela betätigte sich dann als liebende Tochter und gab die Vorstellung des glücklichen Kindes –geziertes  Kleinmädchengetue und über- liebevolles Papagesäusel, welches sonst gar nicht ihre Art war. Irgendwie verhöhnte sie damit ihren Vater, denn sie wusste, der Umschwung zur Normalität kühlen Umgangs fiel ihm doppelt schwer.
Sie war von bitterem Hass gegen ihn erfüllt und nahm im persönlich übel, dass er der einzige Mensch in ihrem Leben  war, auf dessen Gegenwart sie sich verlassen konnte. Sie hasste es, für ihn zu sorgen, seine Sachen zu waschen und ihre mütterlich- umsichtige Fürsorge mangels eines anderen Gegenstandes der Zuwendung über ihm auszuschütten. Andererseits wusste sie, dass eben das der Grund war, warum sie das väterliche Haus nicht hinter sich ließ und in eine kleine Wohnung zog, die sie sich mit ihrem mittelprächtigen Verdienst leisten konnte.  Außerdem ertrug sie ihn, weil er ihr das Haus  vererben würde, was jetzt schon an die zweihunderttausend Euro Wert  war, weil sie ihr Geld nicht für den täglichen Lebensunterhalt aufbrauchen musste und von einem Leben danach träumen konnte. Als Tochter aus gutem Hause, nicht unvermögend, auf den Malediven in einer kleinen passenden Finka. Dem süßen Nichtstun hingegeben, natürlich mit gutaussehenden Verehrern. Die Zukunftsträume ließen sie die vermeintliche Unbill der Gegenwart ertragen. Wenigstens die Sorge, was später aus ihr werden sollte, wenn sie ganz allein auf der Welt war, ohne einen Anverwandten, die nahm ihr Vater von ihr. Deshalb beschied sie sich mit der Rolle der Putze und Haushälterin. Immerhin hatte sie noch ihre Negerküsse und überhaupt gutes Essen.
Irgendwann fiel ihr in der Werkstatt ihres Betriebes ein junger Mann auf, weil er eine Frage wegen seiner Lohnabrechnung an sie richtete.  Da sie die Werkstatträume nie betrat, hätte sie ihn sicher nie entdeckt, aber nun stand er morgens vor ihr. 
Seine Stunden waren nicht korrekt abgerechnet worden und es gelang ihr, die Angelegenheit umgehend mit dem Annahmemeister zu klären. Es war nicht ihr Versehen und auch nicht die Schuld von Holger, so hieß der junge Mann. Er war ziemlich groß, breitschultrig und trug einen modisch kurzen Haarschnitt, der sein markantes offenes Gesicht zur Geltung kommen ließ. Und seine hübschen kleinen Ohren. Seine blaugrauen, von dichten und langen, mädchenhaften Wimpern umrahmten Augen. Seinen kräftigen Hals, der wie seine Arme sonnengebräunt schien. Gabriela war fasziniert. Sie konnte ihren Blick kaum losreißen von diesem männlichen Prachtstück, das sich in ihrer Nähe verborgen hatte.  Kaum hatte er zufrieden gestellt ihr Büro verlassen, blätterte sie im Computer sein Geburtsdatum nach und seine Adresse. Er war fünf Jahre jünger als sie und wohnte irgendwo in Mitte.  
An diesem Nachmittag betrat sie das erste Mal seit Jahren die Werkstatträume.
Nach vierzehn Tagen hatten sich die Kollegen an ihren nun täglichen Rundgang gewöhnt und keiner schaute ihr mehr erstaunt nach. Sie stellte fest, dass Holger ein stiller, zurückhaltender Mann war, arbeitsam und flink. Er machte seine Arbeit besser als die anderen Schrauber und sie bewunderte, dass er von diesen um Rat gefragt wurde,  jedes  diffizile Problem lösen konnte. Wegen seiner Fähigkeiten war er vor zwei Jahren zum Vorarbeiter befördert worden, nur ein Titel freilich, ohne gehaltsmäßige Mehrvergütung.
Eines Tages fasste sie Mut und sprach ihn an.
„Sag mal, Du scheinst alles zu können? Ich frage mich, warum Du nicht längst als Meister
in der Annahme sitzt. Herr Schwert ist doch schon ziemlich alt und ich habe gehört, dass bald ein Nachfolger für ihn gesucht und eingestellt werden soll. Warum sprichst Du den Chef nicht mal darauf an? Oder soll ich das tun?“
Sie errötete, als seine Augen erstaunt auf ihr ruhten. Langsam richtete er sich auf und ließ das Auto hinter sich, als er zu ihr trat.
„Wieso willst ausgerechnet Du Dich für mich einsetzen?“
Sein Blick war neugierig. Ihr fiel auf, dass er blaugraue Augen mit hellgelben Sprenkeln darin hatte. Irgendwie lustig. Sie war verlegen.
„Ja, ich habe dich beobachtet. Du arbeitest am besten und scheinst die meiste Ahnung von allen zu haben. Jeder bittet Dich um Rat. Ich finde, Du wärst eine gute Wahl. Mit Kunden kommst Du auch sehr gut zurecht.“
Er lachte amüsiert, aber bescheiden. Sie fühlte sich nicht ausgelacht und war erleichtert.
„Leider denkt unser Chef nicht wie du. Ich habe ihn nämlich schon angesprochen. Er ist der Ansicht, dass ich als bester Schrauber mehr Wert für ihn bin. Er will mich hier hinten, wo ich ihm produktiv richtig Geld einbringe. Er meint, er hat genug Leute, die nicht so produktiv sind und die er unterbringen muss. Mit der Neueinstellung musst Du Dich verhört haben. Er wird den nächsten, der nicht mehr viel schafft, dort vorne hin setzen. Außerdem habe ich keinen Meister und das kreidet er mir auch an.“
Gabrielas echtes Interesse an ihm kam bei ihm an. Sie unterhielten sich zukünftig fast jeden Tag und er winkte zurück, wenn sie ihm im Vorbeigehen zuwinkte. Merkwürdigerweise hob das ihr Ansehen bei ihren Kollegen und besonders Kolleginnen. An dem einsetzenden Gemunkel freute sie sich jeden Tag auf dem Nachhauseweg.
Als der Winter vergangen war, beschloss der Chef der Firma, seinen Mitarbeitern eine Dampferfahrt zu spendieren, als Ausgleich für die nicht stattgefundene Weihnachtsfeier.
Gabriela fasste sich ein Herz und fragte Holger, ob er teilnehmen würde. Er musterte sie mit einem langen Blick und nickte schließlich. „Wenn Du auch kommst...“
Sie war glücklich.
Die verbleibenden vier Wochen nutzte sie dazu abzunehmen. Die Negerküsse verschwanden. Zu Hause gab es nur noch in der Mikrowelle kalorienarm Gedünstetes. Die verständnislosen und vorwurfsvollen Blicke ihres Vaters ignorierte sie.
Als das Betriebsfest stattfand, legte sie das erste Mal, seit sie dem Betrieb angehörte,  Lippenstift auf.  Anstelle ihrer braunen, weiten Kleider trug sie einen roten Hosenanzug, den sie sich in einem Kaufhaus in der Mittagspause ausgekuckt hatte, und Stöckelschuhe, in denen sie kaum auf festem Ufer laufen konnte.
Holger saß natürlich nicht neben ihr und sie beobachtete ihn, wie er mit seinen Arbeitskollegen Bier trank und schwatzte. Lustige Horde, wie sie sich angrinsten und gegenseitig auf die Schultern klopften. Der neue  Annahmemeister saß neben Holger- sie schienen sich glänzend zu verstehen. Gabriela begriff das zwar nicht, aber letzten Endes wusste sie, dass Holger ihn ausstechen würde. Sie setzte schließlich ihre Hoffnungen in keinen Dummen.
Als die Feier vorüber war und der Dampfer anlegte, schlüpfte sie zu Holger und bot ihm an, ihn zu seinem Auto zu begleiten und nach Hause zu fahren. Einen Führerschein besaß sie schließlich. Glücklich erwiderte sie seine betrunkenen Annäherungsversuche. Seine Küsse schmeckten nach Bier, auf Gabrielas Zunge jedoch trotzdem süß.
Gabriela steuerte sein Auto, einen großen Wagen, den er sich nur leisten konnte, weil er ihn selbst reparierte konnte und jedes Ersatzteil zum verbilligten Preis erhielt, zu ihrem Haus.
Als er am Sonntagmorgen neben ihr in ihrem Mädchenbett erwachte, hatte sie sich schon zurechtgemacht und ihre Haare frisch gewaschen. Nach einen erquickenden Frühstück ließ er sich überzeugen, dass es im Bett um die Zeit am Schönsten war.
Gabriela war selig.
Von diesem Zeitpunkt an lud sie ihn jede Woche mindestens zweimal ein, den Abend - und die Nacht natürlich -  bei ihr zu verbringen. Sie kochte fürstlich für ihn und sparte dafür  Haushaltsausgaben ein, wo sie nur konnte. Sie selbst aß an Tagen, zu denen Holger nicht erschien, kaum noch etwas, was sie ihrem Vater gegenüber mit Diäten begründete. Aber auch an dessen Verpflegung zu sparen hielt sie für angemessen. Sein Bier vergaß sie häufig einfach mitzubringen. Stand ein Besuch von Holger an, so füllte sie den Kühlschrank mit Sekt und seinem Lieblingsbier, was er gerne eiskalt trank. Die gekränkten Blicke ihres Vaters ignorierte sie, zum Teil bereiteten sie ihr eine ungeahnte Genugtuung. Was einem Ausdrücken ihres Hasses auf  ihn schließlich am nächsten kam, war die beiläufige Bemerkung:
„Holger kommt heute Abend zu mir.“
„Ach“, sagte dann Anton Stock mit leicht zitternder Altmännerstimme.
„Nun, vielleicht kann er ja die nächste Durchsicht an Deinem alten Saab machen. Frag‘ ihn doch mal. Ehe Du  Dein Geld einer Werkstatt in den Rachen wirfst, kann er sich doch privat eine Mark nebenbei verdienen. Meinst Du nicht?“
„Eigentlich bin ich mit meiner Werkstatt zufrieden...“
Gabriela zog in solchen Fällen höhnischen die Augenbrauen nach oben und spitzte ihren Kußmund. Sie tat dies oft auch unwillkürlich und hatte sich zuerst unbewusst, dann sehr bewusst angewöhnt, es zu verbergen, indem sie den Kopf züchtig senkte und auf ihrem Kleid ein nicht vorhandenes Staubkorn suchte oder eine Falte glattstrich.

Holger kam inzwischen sehr gern zu Gabriela und Anton. Er war immer hungrig und freute sich auf saftige Steaks, frische Salate und ausreichend Bier zum Nachspülen.
Besser gesagt kam er mit seinem Verdienst trotz gelegentlicher Schwarzarbeit überhaupt nicht aus. Er war ständig in Geldnot .
Als Gabriela ihn kennenlernte, hatte sie dies nicht angenommen. Das große Auto, das offene Gesicht und seine einfühlsame, heitere Art hatten ihn ihr als strebsamen jungen Mann erscheinen lassen. Seine Zuneigung hatte sie erhöht und ihr geschmeichelt. Es hatte sie freudig erregt, wenn er ihr Zuhörte und sie an die Existenz eines wohlmeinenden Gottes glauben lassen, wenn er mit ihr ins Bett ging und sie einfühlsam liebkoste. Sie hatte gemeint, ihm das geben zu können, was ihm fehlte, um seine Meisterqualifikation durchzustehen, um Karriere in ihrem Betrieb zu machen. Um sie eines Tages noch weiter zu erheben und vielleicht sogar zu ehelichen.
Kurz gesagt, Gabriela hatte erwartet, dass Holger ihr Ehre machen würde und etwas aus ihm wurde.
Aber Holger hatte sich im Laufe des ganzen Jahres, welches sie nun zusammen waren, nur nach einer Meisterschule umgeschaut und sich Unterlagen schicken lassen. Die lagen seitdem unangetastet in einer Kommodenschublade von Gabrielas Schlafzimmer. Wenn er jetzt zu ihr kam, so tat er das nur, wenn er nichts besseres vor hatte. Ein in Aussicht genommener Abend mit Kumpeln in seinem Stammpub, um ein Fußballspiel zu sehen, reichte für eine Absage. Oder er kam so spät, dass er nur noch müde in ihr Bett fiel und losschnarchte. Für das Stullenpaket am Morgen bekam sie dann einen Kuss auf ihren Kußmund. Er lehnte es ab, Gabriela in sein Leben einzubeziehen, obwohl sie ihn inständig darum bat, sie doch einmal mitzunehmen in seinen Lieblingspub.
„ Klar siehst Du jetzt richtig gut aus, ich sage doch nichts gegen Dich!“ ereiferte er sich bei ihren Bitten. „Aber meine Kumpels sind nichts für Dich. Ich und die sind nur dumme Mechaniker!  Du würdest Dich nur langweilen, Süße. Übrigens bin ich Silvester verabredet. Wir ziehen so um die Häuser. Ich rufe Dich dann an, wenn ich ausgeschlafen bin.“
„Warum willst Du nicht zu mir ziehen?“ fragte sie flehentlich. „Ich liebe dich doch!“
„Ach Gabriela! Du weißt doch, dass ich meine günstige Wohnung nicht aufgeben möchte. Schau doch mal, so was kriege ich nie wieder. Außerdem haben wir beide damit eine Stadtwohnung und ein Haus auf dem Land, hier bei Dir. Ist das nicht toll?“
„Aber ich möchte doch immer bei Dir sein...“
„Wie oft soll ich es Dir denn erklären, Kleines. Ich kann meine Schwester und meine Mutter nicht alleine in Mitte sitzen lassen. Die möchten mich auch ab und zu bei sich sehen, außerdem muss ich ihnen schließlich helfen. Aber bei den beiden will ich nicht übernachten. Ich brauche die eigene Bude eben. Außerdem muss ich mindestens zweimal pro Woche in den Pub. Geschäftlich, verstehst Du? Wo soll ich denn sonst meine Kunden für die Schwarzarbeit her bekommen ! Du weißt doch, dass ich mehr Geld ausgebe, als ich in der Firma verdiene. Das ist doch nur ein Lacher dort! Ach übrigens bin ich im Moment etwas knapp: kannst Du mir einen Hunni leihen?“
Gabriela seufzte und schickte sich in das Unvermeidliche.
Mit der Zeit kaufte sie ihm für kleine Handgriffe, die er im Haus für sie tat, Jacketts, mehrere Jeans, zwei paar Schuhe, eine todschicke sehr teure Sonnenbrille, wie sie selbst keine besaß. Ihm zuliebe verzichtete sie darauf, sich selbst etwas zu kaufen. Kredite und Geld, das sie ihm gab, sah sie nie wieder.
Eines Abends stand Holger mit mehr als der üblichen Verspätung und unerwartet in Gabrielas Wohnzimmer – sie hatte den Sportauspuff seines Autos nicht röhren gehört und ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr nur die regnerische, einsame Pflasterstraße.
Weder auf ihre Begrüßung noch auf ihre Frage nach seinem Wagen reagierte Holger. Wortlos stampfte er an ihrem Vater vorbei und schritt ohne den Blick zu heben ins Schlafzimmer, wo er sich in seinen nassen , schmutzigen Sachen auf ihr frisch bezogenes Bett fallen ließ.
Gabriela ärgerte sich. Diese Haltung war ungewohnt. Der Begrüßungskuss war Ritual für sie und das wusste er.
Mühsam beherrschte sie sich, nicht mit einer nächsten Frage herauszuplatzen oder ihre Verstimmung zu äußern.  Ruhig setzte sie sich ihm gegenüber an ihren Frisiertisch.
„Hör mal Süße, kannst Du mir einen Kredi geben?“ fragte Holger, als sie hinter verschlossener Tür allein waren.
Gabriela räusperte sich überrascht. Schließlich wusste sie, dass er gerade am vorigen Wochenende keine Zeit für sie gehabt hatte, weil er mit einem Kumpel dessen BMW repariert hatte. Ihr gegenüber hatte er von einem Tausender geredet, der dabei herausspränge. Also unabdingbar wichtig diese Sache. Selbstverständlich sah sie das ein. Sie wollte ihn schließlich nicht behindern. Vielleicht konnten sie doch irgendwann zusammenleben, und dann war das auch ihr Verdienst.
„Du kannst Dir nicht vorstellen, was es mich gekostet hat, Dich darum zu bitten“, jammerte er mitleiderregend. „Aber ich weiß sonst wirklich nicht, was ich tun soll. Ich habe schon mein Auto hingeben müssen – dieses Arschloch will ausgerechnet jetzt die Zweitausend Mark zurück, die ich ihm schulde. In den letzten vier Monaten hat er sie doch auch nicht gebraucht! Aber ich muss mein Auto auslösen. Wie soll ich denn sonst nebenbei arbeiten können. Und überhaupt zur Arbeit kommen. Und was ich sonst alles noch zu tun habe!“
Er seufzte tief. Noch immer hatte er sie nicht angesehen.
Gabriela hatte plötzlich den Eindruck, dass seine Überwindung und Mutlosigkeit nur Theater war. Das Gefühl, diesen Mann nicht richtig zu kennen, nahm ihr den Atem.  Sie schüttelte den Kopf. Die Zweitausend würde sie nie wieder sehen. Wie alles bisher. Oder irrte sie sich?
„Bitte Gabriela, hilf mir noch dieses eine Mal. Nur ein Kredit! Du bekommst es bestimmt wieder diesmal. Ich verspreche es Dir“, sagte Holger niedergedrückt.
Gabriela stand auf. Innerlich wand sie sich. Holger schien dies zu spüren, denn er verhielt sich mucksmäuschen still. Nur dass er sich langsam aus dem Liegen aufrichtete, um mit krummen Schultern reglos auf ihre Entscheidung zu warten. Unter seinen langen, seidigen Wimpern hervor beobachtete er sie jetzt atemlos.
Gabriela hasste ihn plötzlich dafür. Wie konnte er sie um Geld anbetteln, wo sie immer freigiebig ihm gegenüber gewesen war?  Wo er sah, dass sie an sich selbst sparte, ihm zuliebe. Ein junger Mann voll Saft und Kraft, von dem sie erwartete, dass er sie irgendwann ernährte! Hatte sie sich so geirrt? Es war seine Schuld, dass sie jetzt unglücklich war, dachte sie bitter. Höhnisch zog sie die Augenbrauen empor und zupfte ein Haar von ihrem Rock.
Warum konnte dieser Abend nicht sein wie viele andere Abende: glücklich beim gemeinsamen Kosten der Köstlichkeiten, die sie im Kühlschrank angehäuft hatte, flirtend, erfüllt mit zärtlichen Blicken und mit dem krönenden Abschluss eines heißen Liebesspiels?
Zu spät fiel ihr ein, dass Holger nie etwas entging.
„Du bist doch wie alle anderen blöden Weiber“, sagte Holger ruhig und verletzend endgültig.
„Eine braune Büromaus, mit einem Hirn voller Scheiße, die nur ihr verpisstes ruhiges Leben
 abspult. So habe ich mir Dich von Anfang an vorgestellt!“
Gabriela blieb stehen, wo sie stand, halb abgewandt von Holger. Es war, als triebe dieser mit jedem Wort einen Eisenpflock durch ihr blutendes Herz. Noch nie hatte er so zu ihr gesprochen und sie fühlte sich außer Stande, darauf zu reagieren. Wie auch? Sie war nicht daran gewöhnt, dass ihr jemand so nahe kommen konnte, um sie in diesem Maße zu verletzen.
„Ich muss erst mal rechnen, wie ich das zusammenbekommen kann“, sagte sie mühsam mit einem Rest verbliebener Würde. Durfte sie denn gar keinen Respekt von ihm erwarten? War sie ein hohler Zahn für ihn?!
„Entschuldige“, sagte Holger und ließ den Kopf noch ein Stück tiefer zwischen die Schultern sinken.
„Ach Holger, was ist bloß mit Dir?“
„Ich weiß es nicht.“ Holger  bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
Gabriela fühlte einen neuerlichen Stich des Bedauerns über Holgers Schwäche. Ihr Vater brauchte dies nicht zu wissen. Es wäre ihr persönlich vor ihm unangenehm gewesen.
Sie setzte sich neben ihren erkorenen Geliebten und streichelte seinen Nacken. Gott, wie sie diesen kurzgeschorenen  Haarschopf liebte.
Holger trank das kleine Becherchen Whisky, das sie ihm aus der Flasche Jack Daniels in ihrem Kleiderschrank eingeschenkt hatte, als sei es eine Medizin, die ihm letzte Rettung bringen konnte.  Danach streckte er sich und strich ihr liebevoll, wie sie es von ihm kannte, über ihr Gesicht. Er nahm es in beide Hände und küsste ihren Kußmund. Gabriela seufzte hingebungsvoll. Sie war dankbar, dass er sich von dem unangenehmen Thema abgewandt hatte und sie zu ihrem Recht kommen ließ. Sie spürte seine Zuneigung, sein männliches und persönliches Interesse an ihr, welches der innige Kuss offensichtlich werden ließ. Holgers Rückkehr zur Normalität war wie der Sonnenaufgang für sie und sein Kuss wirkte wie die lebenspendenden Strahlen der Sonne  an einem Frühlingstag auf der Gartenbank hinter dem Haus.
Später aßen sie gemeinsam mit Anton Stock vor dem Fernseher das Abendbrot aus Lachssandwiches und französischem Käse, welches Gabriela mit Sorgfalt bereitet hatte.
Holger wurde lebhaft, nachdem er die dritte Flasche Bier getrunken hatte, und erzählte Geschichten aus der Autowerkstatt, die Gabrielas Vater an seine eigene Berufstätigkeit erinnerten. Seine Ausstrahlung verlieh den Kuriositäten ,die sich in der Firma ereigneten, Leben. Gabriela fühlte, wie stolz sie auf ihn war.  Mehrfach  warf sie zwischendurch einen Blick auf ihren Vater, ob er Holger auch zu würdigen verstand. Und sie hatte den Eindruck, dass selbst er Holger nun nicht mehr als Kneipengänger und faules Schwein ansehen würde, sondern als einen geachteten, arbeitsamen jungen Mann, der seiner Tochter ein würdiger Partner sein würde.  Es wurde ein angenehmer Abend, in dessen Verlauf Holger seine praktischen Fähigkeiten bei der Reparatur ihres Kühlschrankschlosses unter Beweis stellte. Holger schlief zwar nicht mit ihr, aber er nahm sie liebevoll in die Arme. Sie zwang sich, sein Schnarchen zu überhören und träumte nichts. Zur Liebe, dachte sie beruhigt, hatten sie schließlich das ganze Wochenende Zeit, denn morgen war Sonnabend.
Als Gabriela am nächsten Morgen erwachte, war sie allein im Bett.
Beim Kaffeekochen stellte sie fest, dass sie allein im Haus war. Richtig, ihr Vater wollte früh zu einer Wanderung aufbrechen und war zum Busbahnhof gelaufen.
Holger jedoch hatte nichts gesagt von einer Verabredung.
In Sorge, ob er ihr eine Bemerkung verübelt habe, spazierte sie nach dem Kaffee durch den Garten. Da sah sie es. Der Schlüssel in der Garage steckte. Sie öffnete das Tor eine Handbreit und erblickte gähnende Leere, wo sonst der Saab zu glänzen pflegte. Vor Entsetzen musste sie sich abstützen.  Mühsam verschloss sie das Tor und zog den Schlüssel ab, um ihn in ihre Kitteltasche zu stecken.  Ihre Augenbrauen zuckten, als wolle sie sich selbst verhöhnen und aus ihrem linken Auge tropfte eine dicke Träne. Sie wankte auf die Toilette und erbrach sich.
Den ganzen Tag versuchte sie, Holger über sein Handy zu erreichen, doch es meldete sich immer nur die Mailbox. Sie hinterließ flehentliche Bitten um Rückruf. Von dem Saab mochte sie nichts sagen – schließlich bestand die Möglichkeit, dass sie sich geirrt hatte und sie wollte ihn nicht  unnötig verärgern.  Er rief nicht zurück.
Als ihr Vater Abends durch die Haustür wankte, erschöpft von der langen Wanderung und der letzten Brotzeit, dankte sie dem lieben Gott auf Knien dass er nicht vor dem Zubettgehen einen Gute- Nacht – Gruß  an sein Auto gerichtet hatte, wie er es häufig fanatischerweise tat.
Die Nacht verbrachte Gabriela in einem Bett aus glühenden Kohlen.   Ihre Gedanken kreisten um Holger, das Auto und ihren Vater. Irgendwann wurde ihr klar, dass beide sie mit dem Auto um ihr Leben betrogen. Beiden war es wichtiger. Seit Monaten hatte sie bemerkt, dass Holger verschiedene Gegenstände aus ihrem Haushalt entwendet hatte. Hier eine silberne alte Gabel, dort einen kristallenen kleinen Leuchter. Ein nicht funktionierendes Tischfeuerzeug. Sie hatte geglaubt, dass er Andenken an sie um sich  versammeln wolle, weil er sie über die Maßen verehre. Eigentlich hatte sie jedes Mal nach seinem Fortgang ihre Schlüpfer kontrolliert, in der Hoffnung, er werde endlich einmal ein richtiges Andenken von ihr in seine Jackettasche stecken. Getragen natürlich – oder ungetragen ?  Insgeheim war sie stolz, das Subjekt seines Fetischismus zu sein.
Am nächsten Morgen, als ihr Vater noch schlief, erreichte sie Holger endlich. Von einer unerklärlichen Scheu gepackt, berichtete sie ihm von dem Verlust des Autos.
Er bedauerte, dass ihm ein wichtiger Termin von ihr fort geführt habe und empfahl ihr, die Polizei zu verständigen. Wenn er nicht fort gemusst hätte, hätte er das selbst getan, schließlich habe er nichts zu befürchten. Hoch und heilig versprach er, am nächsten Wochenende zum Essen zu erscheinen, die kommenden Tage sei er leider völlig ausgebucht mit Arbeit. Sie wisse schon, sein Auto auslösen würde einiges kosten an Stunden.
Nachdem Gabriela das Garagenschloss mit einem Schraubendreher strapaziert hatte, rief sie ihren Vater, der einen halben Herzanfall erlitt und anschließend die Polizei. Letztere nahm eine Anzeige gegen Unbekannt auf, machte aber beiden keine Hoffnung das Fahrzeug wieder zu finden. Autos dieses Baujahrs und ohne Kat waren meist schon am Tag nach dem Diebstahl über die Grenzen in den Ostländern verschwunden.
Die Tage vergingen und von dem Auto fehlte jede Spur.
Anton Stock war beschäftigt, jedem Nachbarn und jedem ehemaligen Kollegen von seinem Verlust zu berichten. Er war tief betroffen von dem Diebstahl, erkannte in seinen Trauerbekundungen jedoch immer öfter, wie viel Zeit und Geld er in dieses Verlustgeschäft investiert hatte und wie viele andere, möglicherweise beständigere Sachen man mit dem schönen Geld hätte kaufen und anschaffen können. Gabriela hörte dies mit größter Befriedigung, gab es doch ihre langjährige Meinung wider. Sie sah seine Spannung, wenn ihm wieder ein Nachbar lächelnd erklärte,  dass nichts Unnormales an seinem Hobby gewesen sei. „Das Auto ist doch schließlich des Deutschen liebstes Kind, nicht wahr?!“, hieß es dann. Ihr Vater tätschelte nach solchen Gesprächen entschuldigend Gabrielas Rücken.  Mit den Tagen verlor das Gesicht ihres Vaters seinen trauernden Ausdruck und er lächelte sie  an.
„Wie hübsch Du jetzt aussiehst“, bemerkte er. „Dieses rote Kleid steht Dir wirklich hervorragend!“
Gabriela freute sich. Das erste Mal fühlte sie sich nicht nur als Hausputze sondern als Hausherrin, gleichberechtigt. Vor Freude gab sie dem kleinen Springbrunnen seine Pumpe zurück und ließ ihn lustig plätschern. Die Blumen, die sie neben ihn pflanzte, gaben dem Garten eine romantische Atmosphäre, fand sie befriedigt.

In den Nächten vor dem Wochenende, zu dem sich Holger angemeldet hatte, lag sie wieder lange wach. Sie überlegte, dass sie ihm eigentlich dankbar sein müsste. Kichernd malte sie sich aus, wie sie ihn erst heiß küsste und ihm dann dankte, dass er sie von dem kostspieligsten Hobby ihres Vaters erlöst hatte. Vielleicht wäre das sogar die Gelegenheit, ihm einen Heiratsantrag zu machen. Hatte er nicht schließlich umsichtiges Gespür für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens bewiesen?  Und hatte sie ihm nicht unangenehme Polizeiverhöre erspart? Sicher sollte sie nicht mit der Tür ins Haus fallen, denn er war wie jeder Mann empfindlicher als eine Mimose. Andererseits wollte sie ihm nun, wo die Dinge doch auf eine eventuelle Heirat hinausliefen, gleich zeigen, wo die Grenzen ihrer Gutmütigkeit lagen. Es sollte eine harmonische Ehe ohne Missverständnisse werden.  Sie nahm ihm immer noch übel, dass er sie um einen „Kredi“   von 2000 Mark  gebeten hatte. Ja, Holger gehörte der Kopf zurechtgerückt. Sie würde ihm zu verstehen geben, dass sie ihn mit dem Auto durchschaut hatte. Dann würde sie ihm entweder einen Tausender schenken oder ein neues Jackett und die Schuhe kaufen, die er tatsächlich dringend benötigte. Mit diesen erhebenden Gedanken schlummerte sie ein.
Am Freitagmorgen spazierte sie durch die Werkstatt und lächelte Holger verheißungsvoll an.
„Kommst Du zum Essen? Ich habe was ganz Feines vorbereitet, du wirst Dich freuen. Außerdem möchte ich dir noch was erzählen, nichts Unangenehmes, mein Liebster!“ flötete sie.
Holger lächelte, als er mit röhrendem Motor vorfuhr. Sein großes Auto war frisch poliert und er selbst trug ein weißes Hemd, das Gabriela noch nicht kannte.
„Chic siehst du aus“, lobte sie ihn unwillkürlich, wie es ihre Art war.
„Gut gelaufen letzte Woche“, freute er sich und ließ sich Anton Stock gegenüber in den bequemsten Sessel des Hauses  sinken.
„Ach Vater“, wandte sich Gabriela mit einem Vorwand an diesen. “Wir kommen gleich zurück, ich will Holger nur den neuen kleinen Wagen zeigen, den Du heute gekauft hast und mit dem ich nun endlich auch mal zur Arbeit fahren darf, wenn mir  so ist.“
Strahlend schob und zog sie Holger in die Garage, in der eine Einkaufstasche von Stadtflitzer mehr als genug Platz hatte.
„Übrigens“ sagte Gabriela zu Holger, nachdem dieser sein Lob über die kluge Entscheidung ihres Vaters geäußert hatte, „übrigens möchte ich mich noch bedanken, für den Gefallen, den Du mir letztes Wochenende getan hast.“
Sie sah ihn voll an. Ihre Augen hatte sie mit schwarzem Lidstrich betont und eine wimpernverlängernde Tusche mit Sorgfalt exakt aufgetragen.
„Ich liebe Dich und bin Dir soo dankbar!“
Holger lachte sie verständnislos an.  „Was meinst du eigentlich? Ich versteh kein Wort?“
„Du hattest vergessen den Garagenschlüssel abzuziehen. Ich habe das Schloss beschädigt, damit Dir die Polizei nicht  auf die Schliche kommt. Schließlich will ich nicht, dass dir was passiert, wo du das einzig Richtige getan hast, mein Genius!“
„Was?“
„Na das Auto! Du hast es doch gestohlen! Oder etwa nicht!“
„Nein. Wie kommst Du nur auf so eine idiotische Idee?“
„Aber Liebster, sei doch nicht so verbohrt. Ich freue mich wahnsinnig, dass die alte geldverschlingende Karre endlich fort ist, glaube mir!“
Gabriela wich einen Schritt vor ihm zurück, als sie seinen starren Blick bemerkte.
„Was hast Du Liebling? Ich liebe Dich doch, weißt Du das denn nicht?“
„Was soll das alles?“  verlangte Holger zu wissen. Seine Stimme flatterte. Er sah hilflos und absolut in die Ecke gedrängt aus. Gabriela zweifelte, ob dies Anzeichen eines Schuldbekenntnisses seien oder ob sie ihm Unrecht getan hatte.
„Aber Liebling, ich weiß doch, dass Du es nur getan hast, weil Du knapp bei Kasse warst. Ich verurteile Dich doch nicht dafür.“ Sie lachte etwas hilflos, musste dann aber an ihre Träume denken und ihre hübschen neuen Schlüpfer. „Wenn Du wüsstest, was ich mir schon lange wünsche, mein Liebster....“    Ihr Lachen wurde koketter und amüsiert.
Holger stand steif und aufrecht vor ihr, unfähig sich zu bewegen. Sein verletzter Blick folgte ihr, als sie durch die Garage tänzelte und spielerisch einige Hacken und Gartengeräte in schwingende Bewegungen versetze, die an der Längswand hingen.
Gabriela blickte sich nach ihm um, ob er ihre Fröhlichkeit teilte. Sie gewahrte seine starre Haltung und erschrak. Sie hätte sich das vielleicht verkneifen sollen. Schließlich sollte eine kluge Frau die Grenzen nicht zu eng stecken. Hatte sie jetzt seine Liebe zu ihr zerstört?  Oh Gott, er würde ihr diesen Kraftbeweis nicht verzeihen! Vor Entsetzen verschlug es ihr das Lachen. Ein Kiekser scholl noch durch den Raum, dann war es still.
„Du denkst ich bin ein Dieb!“ schrie Holger sie an.
„Das hast du falsch verstanden, Liebling, beruhige Dich bitte!“ versuchte Gabriela sich zu verteidigen und ihn abzulenken. „Schau mal, der Schlüssel steckt. Wollen wir nicht eine Spazierfahrt machen?“
 „Nein, sei still. Du denkst ich habe Dich und Deinen Vater bestohlen, obwohl ich eigentlich nie etwas von dir gewollt habe!“
Gabriela stand angstvoll an die Garagenwand gepresst und schaute in die großen Kinderaugen des Stadtflitzers. Er sah so unberührt aus, so zutraulich. So wie sie sich ihren Holger zurechtgeträumt hatte. Nur für sie da.
Sie bekam erst mit, dass Holger in den Flitzer gestiegen war und ihn gestartet hatte, als dieser sie an der Garagenwand zermalmte.

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