Im Süden von Berlin gibt es einige schöne Fleckchen Erde, wo das brandenburgische Flachland von unzähligen kleinen Wasserläufen und zum Teil künstlichen Seen, sogenannten Kiesgruben durchbrochen ist. Schon zu früheren Zeiten pflegten sich die vermögenden Berliner bei Lust und Laune in die Randbezirke ihrer tosenden Stadt zurückzuziehen. Große und kleine Villen und vornehme Landhäuser entstanden in weitläufigen Gärten und teilweise auf parkähnlichen Anwesen. Den Dörfern rings um die Stadt ging es ohne Absatzprobleme ebenfalls gut. Man könnte von einer harmonischen Symbiose sprechen, die Stadt und Land hier eingegangen waren.
Nach dem zweiten Weltkrieg blieb hier die Zeit ein halbes Jahrhundert stehen, bis der zwischenzeitlich verlorengegangene Eindruck von Wohlhabenheit und Gediegenheit in die vernachlässigen südlichen Randbezirke zurückkehrte. Was zu retten war, wurde teuer wieder rekonstruiert, vor die Hunde Gegangenes wurde kurzerhand abgerissen und durch möglichst Prächtiges ersetzt. Bei der Bebauung brachliegender Gärten wurden keine Kosten gescheut.
Maria und Georg Höppner hatten in den letzten Jahren eine Menge Geld verdient. Sie handelten mit preisgünstigen Möbeln, die einfach jeder haben wollte.
Ihr Unternehmen war aus einem kleinen Familienbetrieb hervorgegangen ; die Gewinne flossen munter auf ihr gemeinsames Konto. Bei dem vielen Geld hätten sie sich etwas wirklich Schönes leisten können, wenn sie schon in ländlich angehauchter Gegend wohnen wollten. Statt dessen kauften sie eine alte Klinkersteinvilla, die in den zwanziger Jahren entstanden war. Das Haus an sich war gar nicht so scheußlich, wenn sie seinen Stil respektiert hätten. In einem riesigen Garten gelegen, weitab von den nächsten Nachbarn, hatte es etwas Verwunschenes. Leider bewies Georg Höppner dafür gar keinen Blick und machte sich kurzerhand daran, das Gebäude nach seinen Vorstellungen in ein Prunkschloß zu verwandeln. Er baute Türmchen und Erker an, setzte eine Unmenge dorinthischer Säulen, die Balkone trugen, vor die Grundmauern, schuf weitläufige Terrassen aus poliertem Granitstein und verputzte zum Schluß das so verzierte Gebäude mit pinkfarbenem Beton. An der lauschigen Stelle des verschwiegenen Gartenhäuschens kauerten wuchtig drei mit Funkfernbedienungen für ihre großflächigen Stahltore ausgestattete Garagen. Die halbherzig vorgetragene Überlegung Marias, das romantische Gartenhäuschen zu erhalten und in eine entlegene Ecke des Gartens umzusetzen, wischte er rigoros beiseite:
„ Wir sind doch moderne Menschen, Maria. Falsch verstandene Romantik hätte uns nicht halb so weit gebracht. Im Grunde Deines Herzens weißt Du das auch. Außerdem achtet Dein Männe nur auf Deine Bequemlichkeit.“
Maria zuckte in solchen Fällen die Schultern und dachte, daß er wahrscheinlich wie immer Recht habe. In den langen Jahren des Zusammenlebens und – arbeitens hatte sie sich angewöhnt, in ihrem Mann den Chef zu sehen. Sie setzte seiner Geschmacklosigkeit nichts weiter entgegen, da er sein Versprechen auf einen beheizten Swimmingpool – natürlich fiel er bombastisch aus samt Sonnenterrasse und kleiner Cocktailbar - sowie den Anbau eines persönlichen Ateliers für sie im Erdgeschoss erfüllte. Die riesigen Panoramafenster des Ateliers gaben den Blick auf ein letztes verbliebenes Fleckchen Rasen vor dem Haus frei und auf einen von Maria sorgsam gehegten Kräutergarten.
Die Höppners waren jedoch keine unsympathischen Neureichen! Beide machten kein Aufheben von dem vielen Geld, das sie verdienten. Daß frühere Freundschaften in die Brüche gegangen waren, lag nicht an ihnen, sondern meist am Neid der, die es nicht „geschafft“ hatten.
Ihre liebenswürdige, offene Art hatte ihnen einige Bekanntschaften erhalten, die das einfach zu schätzen wußten. Von Zeit zu Zeit, so alle zwei Monate, gaben sie eine Party, bei der es hoch her ging. Dazwischen lebten sie relativ zurückgezogen für sich allein. Genaugenommen wußten sie mit ihrem vielen Geld, das sie verdient hatten, nichts anzufangen. Sie waren nicht einmal sehr glücklich damit.
Maria war eine großgewachsene, echte Blondine mit dünnen Haaren, die trotz bester Dauerwelle immer etwas gerupft aussah. Sie hatte eine durchscheinend blasse Haut mit unzähligen Sommersprossen und zum Teil offener Akne, die sie selbst mit 40 Jahren nur mit dicken Make up Schichten verdecken konnte. Ihre kornblumenblauen Augen waren groß, wie die einer Barbiepuppe. Die breiten Schultern verrieten die ehemalige Leichtathletin, ihr Becken die Geburt ihrer zwei Kinder. Sie betonte oft, daß sie durch ihre harte Arbeit leider zu spät mit Fitneß und Gymnastik angefangen habe, sich damit aber wenigstens ihre schmale Taille zurück erobert.
Georg war ein massiger Mann von nahezu zwei Meter Körpergröße. Die Rettungsringe, die er um seine Taille herum zu sammeln anfing, ließen ihn noch wuchtiger erscheinen und die geschorenen, millimeterkurzen Haare erweckten einen leicht brutalen Eindruck, der seinem Wesen nicht entsprach. Von den 130 Kilo, die er gut auf die Waage brachte, waren dreißig zu viel, wie ihm seine Frau mitunter schelmisch zu verstehen gab. Er war drei Monate älter als sie.
„Wenn Du so weitermachst, Liebling“, gurrte sie , „kannst Du mit meiner Beweglichkeit bald nicht mehr Schritt halten...“ Georg pflegte sich dann mit einem Pfeifchen in schweigendem Protest in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen.
Dafür, daß sie zwanzig Ehejahre miteinander verbracht hatten, kamen sie erstaunlich gut miteinander aus. Daß ihre Leidenschaft füreinander in den letzten Jahren vergangen war, hatten sie über der vielen Arbeit gar nicht recht mitbekommen. Über schwindende Liebe nachzudenken, gab es weder Veranlassung noch Zeit. Da sie lange verheiratet waren, gingen sie beide logisch davon aus, daß sie sich immer noch liebten. Jedenfalls war ihr Sexleben ungezwungener geworden, nachdem beide Kinder aus dem Haus waren : der eine Sohn in den USA zum Studium, der andere im Internat. Daß sie es jetzt nicht mehr so häufig taten wie am Anfang, schob Maria auf Georgs überflüssige Pfunde und leichtes Schwitzen, und Georg bildete sich ein, seiner Schuldigkeit ihr gegenüber in genau dem gewünschten Maß nachzukommen. Er hielt Maria in dieser Hinsicht nicht für sehr temperamentvoll und war überzeugt, ihr nichts wegzunehmen, ja eigentlich einen Gefallen zu tun, wenn er drei bis viermal im Monat seine frühere Sekretärin bevorzugte. Außerdem konnte er es sich finanziell mehr als leisten und war sicher, daß Maria nicht hinter ihm her schnüffelte. Er war überzeugt, daß es sie nicht mal interessieren würde, was er mit dem ihm zustehenden Vermögen machte. Schließlich ging es ihr hervorragend.
Die Umwelt hielt sie für ein perfektes Paar, wenn Georg im großen BMW vorüber brauste oder Maria im kleineren Cabrio gleicher Marke Shopping fuhr. Eben auch da schienen sie den gleichen Geschmack zu haben.
Beide hatten keinerlei Anlaß, unglücklich zu sein. Sie hatten Geld, waren gesund und vor allem hatten sie endlich Zeit.
Niemand hätte vermutet, daß sie nicht rundherum glücklich waren, denn niemand wußte von der Ziellosigkeit, die ihr Leben ergriffen hatte.
Georg hatte aufgegeben, sich in seiner Firma behaupten zu wollen, weil er Manns genug war zuzugestehen, daß sein vor drei Jahren eingestellter Geschäftsführer die Dinge besser im Griff hatte und dessen Entscheidungen flexibler den vielfältigen Umständen entsprechend in wesentlich kürzerer Zeit alles im Fluß hielten.
Maria war weder in der Buchhaltung, die sie in den Gründerjahren, wie sie kokett jubelte, ganz allein geschmissen hatte, noch im Haushalt mehr nötig.
Beide hatten das erreicht, wovon so viele täglich träumen und außerdem noch alle Zeit der Welt. Das Geld vermehrte sich ohne sie, die Firma gedieh prächtig ohne ihre tätliche Mitwirkung und zu Hause war auch alles tipptopp ohne ihr Zutun.
Infolgedessen beschäftigte sich Maria mit Bildhauerei, deshalb auch das Atelier.
Georg hatte seine Leidenschaft für Technik an seinem Computer geschult , surfte tage- und nächtelang durchs Internet und liebte es, mit wichtigem Gesicht wohlwollend durch seine Möbelhäuser zu paradieren.
Beide hatten keinen ersichtlichen Grund unglücklich zu sein, aber irgendwie waren sie es.
Inmitten ihrer selbstgeschaffenen Herrlichkeit litten sie grollend und verständnislos am fehlenden Glücksgefühl. Sie konnten nicht begreifen, wieso sie sich nicht zufriedener und besser fühlten, wo doch alles so prima lief. Sie warteten auf ein Ereignis, auf das Glück um der Ecke, auf die Erlösung vom täglichen Einerlei.
Eines Tages unternahm Georg am frühen Abend seine tägliche Gartenbegehung. Mit wachem Auge musterte er die Resultate der Pflegearbeiten des Gärtners und begutachtete aufmerksam das Wachstum der Küchenkräuter: Basilikum gedieh prächtig, ebenso Garten- und Kapuzinerkresse. Der Salbei ließ noch zu wünschen übrig, auch das Schöllkraut, welches Maria mitunter auf ihre schmerzenden Augen legte, wenn sie zu lange im Abendlicht ihres Ateliers gearbeitet hatte, war noch nicht richtig fett. Da er viel von ermutigenden Worten hielt, redete er eine Weile mit den Pflanzen.
Maria, die ihn aus einem der Atelierfenster zufällig erspäht hatte, brach in wildes Gekicher aus. Sie mußte eine Weile wegschauen, um sich wieder zu fangen. Als sie ihre Blicke erneut auf Georg richten wollte, war er verschwunden.. Erstaunt trat sie nahe ans Fenster und erblickte ihn weit vorne, am Gartenzaun, wo er ebenfalls auf irgendetwas einredete. Neugierig trat sie aus einer Seitentür in den Garten hinaus und machte sich zu ihm auf den Weg. Erst als sie neben ihm stand, gaben die Berberitzenhecken ihr den Blick auf einen ausgemergelten Hund frei.
„Kuck Dir das an“, rief Georg , sich Marias Nähe bewußt werdend. „Der ist vollkommen verwahrlost, dieser Streuner. Da bläst ja der Wind durch die Rippen. Wir sollten ihm ein paar Stücken Schweinebraten von heute mittag geben, was meinst du? Dann kann er sich wenigstens gegen Rowdies behaupten.“ Er lachte über seine eigene Gutmütigkeit.
Maria betrachtete den Hund, der klapperdürr mit verfilztem Fell und hängenden Ohren traurig ihren Blick erwiderte. Er war fast so groß wie ein Kalb und hatte Ähnlichkeit mit einer Dogge, obwohl sein Brustkorb dazu zu breit war. Straff spannte sich das dünne Fell über den mächtigen Knochen.
„Was hindert uns daran?“ sagte sie und ging zum Tor. „Na Hund, möchtest Du herein kommen? Ich verspreche dir einen ruhigen Abend mit schönem Freßchen, was meinst du?“ Sie sprach leise und ihre Stimme schwankte ein wenig.
Der Hund legte seinen Kopf schief und musterte aufmerksam ihr Gesicht. Maria hielt das Tor einladend geöffnet. Nach kurzem Zögern schlich er hindurch. Vor Schwäche wankte er ein wenig auf seinen riesigen Pfoten.
„Den ganzen Abend muß er ja vielleicht nicht gerade hier bleiben“ , maulte Georg. „Der hat doch bestimmt Flöhe und Läuse. Ich hab keine Lust morgen selbst einige davon spazieren zu tragen.“
„Ja,ja“, entgegnete Maria gelangweilt. „Er soll ja nicht in Deinem Bett schlafen, alter Meckeronkel.“
Eilig lief sie hinter dem Hund her, der schnurstracks den Weg zum Haus eingeschlagen hatte.
Mitleidvoll redete sie mit mütterlicher Stimme auf ihn ein, wenn er ab und zu stehenblieb und sie vergewissernd ansah, ob er sich wirklich erwünscht fühlen sollte. Keiner von beiden drehte sich nach Georg um, dem der Hund eigentlich seine Entdeckung zu verdanken hatte, und der leicht beleidigt, betont langsam hinter drein schritt.
In den nächsten Tagen kümmerte sich das Ehepaar mit vereinten Kräften um den Hund. Dank Marias Sorge erhielt er von allem, was auf den Tisch kam, seinen Anteil. Zusätzlich verfügte er bereits am zweiten Abend seines Einzugs über einen Designerfreßnapf aus Nirostastahl, garantiert mehrere Hundeleben überdauernd, wie der Verkäufer der Tierhandlung Maria versicherte. Georg gab ihm abends, amüsiert über die aufmerksamen Blicke des Tieres, eine kleine Silberschüssel voll Bier von seiner Leib- und Magensorte ab. Vorm Zubettgehen gewöhnte er sich an, mit dem Hund einen kurzen Spaziergang zu machen. Benny, so nannten sie ihn kurzerhand, offenbarte rasch all seine hervorragenden und edlen Anlagen. Das Kurzhaarfell schimmerte bald seidig und faßte sich wie der teuerste Samt an. Seine Rippen verschwanden unter sich regenerierenden Muskelpaketen. Seine Augen erhielten Glanz und sein Blick wurde selbstsicherer. Er war ein wunderschöner Kraftprotz. Tagsüber lag er fast ununterbrochen bei Maria in ihrem Atelier und behielt sie erwartungsvoll im Auge. Zu den Essenszeiten lag er unter dem Tisch, abends am Kamin, in seltenen Fällen wachsam neben dem Zeitung lesenden Georg. Gingen beide zum Essen aus, war er dabei. Wohlerzogen gliederte er sich in ihre Gemeinschaft ein, ohne je ein Bellen oder Knurren von sich zu geben. Das, was für viele Menschen Tiere so unangenehm macht, erledigte er ohne Aufhebens, indem er ab und an über den Zaun setzte und genauso unauffällig wieder da war, als sei nichts gewesen. Da Benny keine Steuermarke getragen hatte und kein Halsband, war Maria nach zwei Tagen der Ansicht, den Hund behalten zu wollen. Georgs Einwände wischte sie ungewohnt entschieden mit einer Handbewegung beiseite.
Nach drei Nächten im Wohnzimmer war Benny der dicke Chinateppich als Nachtlager nicht mehr gut genug. Er folgte Maria in ihr Schlafzimmer. Georg, dessen Schlafraum auf der anderen Seite des gemeinsam benutzten Badezimmers lag, beobachtete das mit mißbilligend zusammengekniffenen Augen und gerunzelter Stirn.
„Mich hast Du wegen Schnarchens disqualifiziert, aber den Hund willst Du bei Dir schlafen lassen? Das kann’s doch wohl nicht sein, Maria! Ich kann dir jetzt schon sagen, wenn ich Dein Zimmer betrete, dann geht er!“
Maria zog die Augenbrauen hoch. „Ist doch eh selten geworden, findest du nicht“, entgegnete sie schnippisch. Georg verschlug es jede Erwiderung.
Benny musterte ihn von Marias Tür aus und schritt dann gravitätisch über ihre Schwelle.
Georg mußte vor sich selbst ratlos zugeben, daß er eifersüchtig war. Lächerlicherweise lag er allein in seinem großen Bett - was er an früheren Abenden erfreulich gefunden hatte, weil er seine Zeitungen ausbreiten konnte und geruhsam ein Pfeifchen rauchen. Jetzt ärgerte es ihn so, daß er sich nicht mal auf seine geliebte PC- Zeitschrift konzentrieren konnte.
Eingedenk dessen, daß Arbeit die beste Ablenkung gewährleistet, entwickelte er für den nächsten mehrwöchigen Urlaub die computergesteuerte Videoüberwachungsanlage fürs Haus, die er sich schon lange vorstellte. Die Skizzen der Zimmer mit den Installationspunkten der Kameras legte er Maria am Frühstückstisch , der sich bei schönem Wetter auf der Terrasse befand, vor.
„Wenn es Dir Spaß macht“, sagte sie gutmütig, aber uninteressiert und warf schließlich ihm zuliebe einen genaueren Blick darauf. Über die Kamera im Badezimmer grinste sie. Georg grinste zurück. Vielleicht konnte man das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden und es wurde nebenbei ein housemade Porno inszeniert. Die Verstärkung der Anreize war in seinem Alter nicht verkehrt. Vielleicht machte es dann auch Maria mehr Spaß, dachte er. Sicher, Frauen alterten noch schneller als man selbst, aber eigentlich sah sie auf ihre Art nicht viel schlechter aus als seine junge Gespielin.
Von angenehmen Vorstellungen umfangen, überraschte es ihn, daß sie die Skizze von ihrem Atelier in der Hand zerknüllte.
„Was machst Du?!“ protestierte er empört. „Ich hab‘ doch nicht umsonst Stunden daran gearbeitet!“
„Du kannst ja auch alles so einbauen lassen. Du weißt, ich habe mich nie in Deine Vorhaben eingemischt. Nur mein Atelier verschone bitte mit so einem Ding. Wenn ich schöpferisch tätig sein will, kann ich mich nicht ständig von einem künstlichen Auge beobachten lassen! Schon die Vorstellung nervt.“
Georg wollte zu einer Entgegnung ansetzen, als Benny von einem seiner Ausflüge über den Gartenzaun zurückgekehrt, plötzlich lautlos vor ihrem Frühstückstisch auftauchte. In seinem Maul trug eine tote Katze, deren frisches Blut auf die Terrasse tropfte. Vorsichtig ließ er sie vor Marias Füßen zu Boden gleiten und blickte ihr aufmerksam ins Gesicht. Georg sprang mit einem angeekelten Schrei auf und brüllte den Hund an : „Pfui ist das! Pfui Teufel, Du elender Köter!“
Erschrocken zog Maria ihre Füße , neben denen sich das Blut der toten Katze ausbreitete, an sich. Sie öffnete vor Abscheu den Mund, um in Georgs Lamento einzustimmen, als sie in Bennys Augen blickte. Es war ein Geschenk, ganz klar. Benny meinte es weder böse, noch beabsichtigte er, sie beide zu erschrecken. Er wollte ihr auf seine hundliche Art eine Freude machen, das war’s! Vielleicht war sein früherer Besitzer ein Jäger gewesen. Sie verschluckte das unartikulierte Gezeter, was ihr auf der Zunge gelegen hatte, und schüttelte sich abweisend.
„Nein, nein, Benny“, sagte sie ernsthaft und stieß, sich selbst überwindend, die tote Katze mit der Fußspitze ein Stück von sich. „Ich will keine tote Katze von Dir!“
Mit einem verächtlichen Blick auf den Kadaver erhob sie sich und verließ den Tisch.
„Rat mal, wer jetzt die Bescherung wegräumen darf“, meinte Georg wütend zu dem Hund, der inzwischen begonnen hatte, sorgfältig das Blut seiner Beute aufzulecken.
„Gerade heute, wo die Haushälterin Ausgang hat, kommst Du mit so einem Scheiß hier an!“
Aus erzieherischen Gründen versuchte er dem Hund einen Schlag zu versetzen . Benny entwischte ihm jedoch mit Leichtigkeit und verschwand auf Marias Fährte im Haus. Den ganzen Tag lag er bei ihr im Atelier, während sie an dem alten Entwurf einer Büste des jungen Georg arbeitete. Georg verbrachte den Tag damit, Videokameras zu kaufen und einem Installateur seine Wünsche zu erklären.
Beide hatten den Vorfall fast vergessen, als Benny nach zwei Tagen erneut am Frühstückstisch erschien. Diesmal ließ er ein frisch erlegtes Rehkitz vor Maria auf den Boden gleiten. Wieder musterte er überaus interessiert ihren Gesichtsausdruck. Die Szene wiederholte sich, nur daß diesmal die Haushälterin den nahezu blutleeren Kadaver beseitigen mußte. Georg hatte sich mit einem unguten Gefühl im Bauch zurückgezogen, als Benny anfing, das Blut des Rehkitzes von den Fliesen zu lecken.
Die nächsten Tage vergingen ohne erneute Geschenke Bennys an Maria. Er schien begriffen zu haben, daß er sie damit nicht erfreute. Nach wie vor lag er jeden Tag bei ihr und beobachtete sie bei ihrer Arbeit. Wenn sie ein Nachlassen ihrer Kreativität fühlte, begleitete sie Benny bei ihren Joggingrunden. Mit Georg abends Spazierenzugehen hatte er keine Lust mehr, sondern zog sich pünktlich halb zehn in Marias Schlafzimmer zurück, dessen Tür sie für ihn immer offen stehen ließ.
Eines Abends lag Maria in ihrem wild gemusterten Bademantel, frisch dem Swimmingpool entstiegen, auf der Couch und lackierte ihre Nägel, als Georg sich ihrer Reize bewußt wurde. Er näherte ich ihr und küßte sie in den Nacken..
„Na meine Schöne, wie wär’s? Soll ich dich in Dein Bett tragen?“
Maria lächelte ihn träge an. „Nicht in meines. Du weißt doch, Benny ist schon hoch gegangen. Wir gehen in Dein Zimmer.“
„Soll das heißen, Du verbannst mich aus Deinem Schlafzimmer, weil ein blöder Hund darin pennt?!“
„Ich würde das nicht so kraß formulieren, Liebling. Was soll die Aufregung? Damit tust Du niemandem einen Gefallen. Überhaupt, was ist schon dabei, wenn wir zukünftig in Dein Bett gehen?!“
Obwohl Georg seine Frau nach oben trug und guten Willens war, hatte ihn die kleine Auseinandersetzung so schockiert, daß er nicht konnte. Die tröstenden Worte seiner Frau halfen ihm auch nicht und er lag wach in seinem Bett, als sie gegangen war. Ein unbestimmtes, lächerliches Angstgefühl bemächtigte sich seiner und an Schlaf war nicht zu denken. Der Blick auf die Leuchtziffern seiner Uhr zeigte ihm, daß es 2.22 war. Kopfschüttelnd ging er ins Badezimmer und ließ sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen, wusch sich dann das Gesicht. Vielleicht half ihm dieses alte, großmütterliche Hausmittel, sich zu beruhigen. Als er sich abtrocknete, hörte er Benny in Marias Schlafzimmer schnarchen. Wütend schmiß er das Handtuch auf den Fußboden und kroch in sein eigenes Bett zurück. Das wollte er doch mal sehen, ob ein Hund es schaffte, ihn aus dem Schlafzimmer seiner eigenen Frau zu vertreiben. Vielleicht sollte er Bennys Besitzer suchen lassen, eine Anzeige aufgeben. Bildete er es sich ein oder hatte Maria sich verändert, seit der Hund im Haus war? Er bildete es sich nicht ein, nein, nie hätte sie ihm gegenüber früher ihren Willen behaupten wollen. Er schätzte sie als ihm ergebene Ehefrau. Schließlich war er ihr Vertrauen wert. Von einigen Kleinigkeiten abgesehen, die aber sowieso nicht zählten. Ja, er würde eine Annonce in die Zeitung setzen lassen. Mehrere. Solange Maria nichts mitbekam, war das eine hervorragende Idee. Getröstet schlief er ein.
Am nächsten Morgen setzte er seine Idee in die Tat um und verbrachte den Tag damit, den Installateur bei der Verkabelung der Videoüberwachungsanlage zu beaufsichtigen. Anschließend programmierte er einen Probelauf von Mitternacht bis Mitternacht des übernächsten Tages. Unbewußt hatte er diese Zeitspanne gewählt, weil er selbst am kommenden Morgen für zwei Tage zu einer Möbelmesse fahren wollte. Mal sehen, was in seiner Abwesenheit so geschah – nein, er wollte Maria nicht überwachen, so ein Gedanke hätte ihm fern gelegen. Es hatte ihn nie interessiert, was sie trieb, solange alles in Ordnung schien, wenn er da war.
Abends, als sie schon im Bett war und er drei Whisky intus hatte, fühlte er sich unternehmungslustig. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihr doch noch mal beweisen zu wollen, daß es sich gestern nur um einen kleinen Lapsus gehandelt hatte. Auf der Treppe zögerte er kurz, schließlich wollte er nichts tun, was ihr nicht angenehm war. Aber mußte er denn jedes Mal um Erlaubnis fragen? Was waren bloß für Sitten bei ihnen eingerissen, besonders seit der Hund im Haus war, war ihm das klar geworden!
Vor Marias geschlossener Tür blieb er stehen. Immerhin schon fünf vor zwölf.
„Maria? Ich bin’s , Georg. Dein Mann.“
Er fand sich albern. Wer sollte es wohl sonst sein. So attraktiv war seine Frau nun auch wieder nicht mehr, daß sie mehrere Verehrer haben konnte. Die Zeiten waren wohl längst vorbei.
Er schüttelte den Kopf. Was war nur mit ihm los?
„Maria, ich wollte doch noch mal zu Dir kommen. Ich komm‘ rein.“
Entschlossen drückte er die Klinke nieder. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Hatte sie etwa abgeschlossen? Nein, unmöglich. Das hatte sie noch nie. Außerdem steckte der Schlüssel von außen. Wie konnte er das übersehen?
Er drückte noch mal gegen die Tür, aber sie bewegte sich auch unter dem Einsatz seiner 130 kg nicht. Irgendetwas schien sie zu blockieren und Georg achtete nicht mehr auf Zurückhaltung, sondern ließ sich mit Wucht dagegen fallen.
„Maria?!!“
Ein tiefes, überaus drohendes Knurren ertönte. Benny schien vor der Tür zu liegen und sie zu versperren. Georg vernahm das dunkle Grollen in dessen mächtiger Kehle und vor seinem Auge erschienen in rascher Abfolge die Bilder der toten Katze und des blutenden Rehkitz. Er heulte auf vor Schreck.
Gleich darauf wurde die Tür von Maria aufgerissen.
„Bist Du übergeschnappt, so einen mörderischen Krach zu veranstalten?! Nicht nur, daß Du mich aufweckst, Benny hat auch geschlafen. Was ist nur in Dich gefahren?“
Mit aufgerissenen Augen und wirren Haaren starrte Georg sie an. Ihr Blick war kühl und selbstbeherrscht, distanziert konnte man das auch nennen. Mitleid blitzte jetzt darin auf. An ihr vorbei schauend konnte er den Hund erkennen, der auf ihrem Bett lag, auf dem Rücken. Seine Pfoten hatte er in die Luft gestreckt und grunzte zufrieden. Lässig plierte er mit einem Auge zu Georg an der Tür hinüber um den Blick gleich wieder abzuwenden, als zähle der gar nicht.
„Ah, ich... ich.... entschuldige bitte. Ich habe wohl schlecht geträumt“, stotterte Georg und wischte sich mit der Hand über die feuchten Augen. „Mir war, als ob – als ob...“
„Du hast Dich mit Deinen Messevorbereitungen wahrscheinlich übernommen, mein Lieber. Bist eben nichts mehr gewöhnt. Geh schlafen. Gute Nacht.“
Sie schloß leise, aber nachdrücklich die Tür. Irrte er sich, oder war ein Hauch Spott in ihren Augen aufgeblitzt?
Georg wankte in sein Zimmer und schlief wie tot, bis ihn der Wecker kurz vor sechs wachklingelte. In Rekordzeit trank er einen Kaffee und zog sich an, ehe er in seinen Wagen sprang, um das Flugzeug zu erreichen. Er beschloß, das merkwürdige nächtliche Ereignis- eigentlich war es ja nicht mal das – seiner Einbildung zuzuschreiben. Überarbeitet, wegen der Videoanlage, genau das war’s . Aber dafür verpaßte er nun nichts mehr. Hinter seinem Rücken konnte nur noch etwas in Marias Atelier geschehen. Ihr Schlafzimmer stand völlig unter seiner Kontrolle, ha-ha.
Aber das war natürlich alles ausgemachter Unsinn. Arme alte Maria, wenn sie wüßte, was er sich zusammenspann! Trotz äußerlicher Ablenkung konnte er die Erinnerung an seinen mitternächtlichen Schrecken und das Gefühl des abgrundtiefen Entsetzens nicht restlos abschütteln. Die beiden Tage vergingen sehr angenehm. Georg dachte erst wieder an sein Heim, als er im Flieger saß.
Schon als er seinen BMW in der Parkgarage des Flughafens auslöste, machte sich zittrige Neugier in ihm breit, was wohl seine vielen Kameras während seiner Abwesenheit aufgezeichnet und für ihn festgehalten hatten. Wenn er das System wirklich während ihres Karibikurlaubes nutzen wollte, war er schließlich als treusorgender Hausvater zu einer Art Qualitätskontrolle verpflichtet.
Zu Hause empfing ihn Maria mit einem anheimelnd gedeckten Tisch. Die Haushälterin hatte seine Lieblingsspeise, grüne Klöße und Schweinebraten mit einer Basilikumsoße zubereitet.
Satt und wohlgelaunt zog er sich früh zurück, mit der Begründung, durch die anstrengenden Verhandlungen auf der Messe müde zu sein.
In seinem Schlafzimmer schaltete er den Computer an und goß sich einen Whisky ein. Bei einem Pfeifchen ließ er die ersten Sequenzen anlaufen. Lustig, Frau R. bei der Hausarbeit zuzusehen. Jetzt wußten sie auch, wieso der Sherry stets alle war. Gründlich konnte man das auch nicht nennen, was sie da herumfuhrwerkte. Eher Umverteilung von Schmutz als dessen Beseitigung. Maria hatte also recht gehabt, daß die Dame besser heute als morgen zu ersetzen war. Nun denn.
Er goß sich einen zweiten Whisky ein. Der größte Teil der Aufzeichnung zeigte leere Räume und er schaltete auf Schnelldurchlauf. Stop. Das war ihm neu.
Maria schien ein neues Modell für eine Skulptur gefunden zu haben! Tatsächlich ein Bild von einem Mannsstück! Wenn er Grund zur Eifersucht suchen würde – aber das war Quatsch. Der hier war höchstens Vierundzwanzig und damit zu jung für sie. Aber ein Glücksfall als Vorlage für einen Adonis: groß und mit einem harmonischen Körperbau gesegnet. Seine in einem warmen Ton gebräunte, straffe und faltenlose Haut spannte sich über kräftigen Knochen und durchtrainierten Muskeln. Goldbraune kurze Locken lagen seidig an seinem Kopf an, wie ein Helm, dessen Farbton ihn an Bennys Fell erinnerte. Ehe der junge Mann in seinem spärlich bekleideten Zustand in Marias Atelier verschwand, strich sein Blick aufmerksam durch den Flur und streifte die Kamera. Georg hatte das Gefühl, er würde ihn ansehen. Wachsam. Eilig ließ er die Aufzeichnungen bis zu Marias Schlafzimmer vorlaufen. In der Dunkelheit konnte er sie nur in ihrem Bett vermuten, aber sie schien eine ruhige Nacht gehabt zu haben. Er bewunderte das Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie am nächsten Morgen aufstand. Eigentlich sah sie für ihr Alter noch erstaunlich gut aus. Er hatte Geschmack bewiesen, schon früher. Eine Weile sah er ihr beim Frühstücken zu, dann beobachtete er, wie sie mit ihrem Wagen fortfuhr. Zog sie sich immer so chic an?
Er suchte den Zeitpunkt ihrer Rückkehr. Shopping, na klar. So viele Tüten konnte nur eine Frau nach Hause schleppen.
Er schüttelte den Kopf. Fast wäre ihm darüber entgangen, daß ihr Modell ihr die Tür öffnete. Unglaublich, daß er den Kerl nicht das Haus betreten gesehen hatte. Oder hatte er die Nacht in Marias Atelier verbracht? Lachend verschwanden die zwei in dem Atelier.
Er bekam Kopfschmerzen. Am liebsten wäre er sofort in das Schlafzimmer seiner Frau gestürzt und hätte sie zur Rede gestellt. Nur ein Blick auf die Uhr und die beschämende Erinnerung an seinen letzten Versuch in ihren Schlafraum vorzudringen, hielt ihn davon ab. Morgen würde er sie zur Rede stellen.
Nach einer unruhigen Nacht in der ihn eifersüchtige Träume heimgesucht hatten, ging er mit mulmigem Gefühl zum Frühstückstisch. Seine Frau empfing ihn lächelnd, Benny neben sich, der seinen Morgenausflug anscheinend hechelnd hinter sich gebracht hatte.
„Du siehst phantastisch aus“, meinte Georg mit schiefem Grinsen. „Das Kleid kenne ich ja gar nicht.“
Er beäugte sie mißtrauisch.
„Tu doch nicht so, als ob Du meine Kleider alle erkennen würdest. Hat Dich doch noch nie interessiert, was ich an hatte“, entgegnete sie abwehrend.
„Man wird doch seiner Frau noch mal ein Kompliment machen dürfen. Wie läuft‘ s denn mit Deiner Arbeit? Hast du ein neues Modell gefunden? Dann brauchst Du Dich nicht mehr mit der Büste von Deinem alten Mann herumquälen“, schloß Georg messerscharf.
Maria lachte. Lachte sie ihn an? In Georgs Ohren klang es eher, als lachte sie ihn aus.
„Stimmt. Hast du den sechsten Sinn entwickelt? Ich habe tatsächlich jemand brauchbares von dieser Künstleragentur geschickt bekommen. Du erinnerst Dich vielleicht nicht, aber ich hatte den Suchauftrag erteilt zu einer Vorlage für eine Skulpturenreihe über göttergleiche Gestalten der Moderne. Sie schickten mir mehrere völlig ungeeignete Typen, bis dann vorgestern ein junger Mann auftauchte, der mir alles Gewünschte zu verkörpern schien. Naja, wir haben uns geeinigt.“
„Geeinigt?“
„Über den Preis, mein Lieber. Du weißt doch, alles hat seinen Preis.“ Sie warf ihm einen lächelnden Blick zu und gab Benny das letzte Stückchen Schinken von ihrem Teller. Er schnappte gierig danach. Georg hatte er nicht beachtet, fiel diesem jetzt auf. Als sei er für ihn nicht vorhanden.
„Und was sagt Benny dazu? He, was hälst Du von dem neuen Modell Deines Frauchens?“
Der Hund warf ihm einen scheelen Blick zu.
Maria erhob sich.
„Was soll er dazu schon sagen? Du müßtest Dich hören ,Georg. Du wirst alt, sieh dich vor.“
Sie lachte silberhell und schlenderte davon in ihr Atelier.
Georg schien es unfaßbar, daß sie sich so verändert hatte. Irgendetwas war anders geworden, in seinem Haus. War er eifersüchtig? Bewertete er ihr Verhalten falsch? Sie hatte vor diesem auch schon andere jüngere Männer als ihn selbst zum Modell gehabt. Was sollte schon anders sein, diesmal?
Am Nachmittag begegnete er dem jungen Mann im Hausflur. Er strich an ihm wortlos vorbei, obwohl Georg auf einen Gruß an den Hauseigentümer gewartet hatte. Aber es gab keinen Kontakt, der andere dachte nicht daran, ihm die Hand zu reichen, oder sich vorzustellen. Er sah ihn nur flüchtig an. Georg ärgerte sich ausgiebig und beschloß abzuwarten. Irgendwann mußte die Skulptur fertig sein.
In den folgenden vierzehn Tagen bemühte er sich, Maria zu überzeugen, auch in ihrem Atelier eine Videokamera zu installieren. Sie mußte ja nicht sofort eingeschaltet werden. Nur wenn sie in drei Monaten zum Urlaub fuhren. Sie weigerte sich entschlossen. So entschlossen hatte er sie früher nie erlebt.
Dann fiel ihm auf, daß er Benny nur sah, wenn der junge Mann nicht da war. Der Hund wurde ihm direkt wieder sympathischer, weil er diesen jugendlichen Störenfried anscheinend auch nicht leiden konnte. Außerdem schien es Marias Modell nicht besonders gut zu gehen, vielleicht war er krank. Er sah blaß aus und abgemagert. Seine Haltung, wenn Georg ihm im Flur begegnete, noch immer stiefelten sie wort - und berührungslos aneinander vorbei, wirkte kraftloser und schlaff. Aber vielleicht war das nur seine eigene Wunschvorstellung, dachte Georg. In den Augen des jungen Mannes lag jedenfalls die gleiche Wachsamkeit wie bei ihrem ersten Zusammentreffen.
An einem klaren Sommermorgen sprach er Maria beim Frühstück spöttisch darauf an.
„Was hat denn Dein Adonis? Entwickelt er sich zum Schlaffi?“
Sie kniff die Augen zusammen.
„Tja, ich dachte immer, ich könnte den Augenblick noch hinausschieben. Aber man muß sich entscheiden, was man will,“ bemerkte sie traurig und wie Georg fand, unpassend.
„Ich versteh‘ nicht“, erwiderte er.
„War auch nicht so wichtig“, überging sie und wandte sich ihm voll zu. „Erinnerst Du Dich, daß uns heute vor drei Monaten auf den Tag genau Benny zugelaufen ist? Heute abend wollen wir ein Festessen machen, nur wir drei. Oder nur wir zwei, wenn Du so willst. Er ist ja nur ein Hund.“ Sie ergriff seine Hand und drückte sie.
Georg entzog sie ihr und tätschelte ihre Wange.
„Braves kleines Mädchen. In Deinem Inneren weißt Du schon, wo Dein Brot gebuttert ist. Papa ist doch der Beste!“
Maria warf ihm eine Kußhand zu, ehe sie den Tag in ihrem Atelier verbrachte.
Georg beschäftigte sich den Vormittag über mit der Auswertung verschiedener Akquisitionen und Messenachläufer in seiner Firma.
Auf dem Nachhauseweg ergab er sich angenehmen Gedanken über den Verlauf des Abendessens und der anschließend Nacht. Die Verabredung mit seiner Ex - Sekretärin hatte er auf die nächste Woche verschoben, angeblich wegen dringender Geschäfte. Wenn Maria das wüßte, dachte er, könnte sie erst richtig würdigen, wieviel sie mir eigentlich noch bedeutet.
Maria enttäuschte seine Erwartungen nicht, als er die Treppe herab schritt und das Kaminzimmer betrat, welches er bewußt den Nachmittag über gemieden hatte.
Sie hatte ein opulentes Mahl vorbereitet, was er an der Vielzahl der Teller und Schüsselchen abschätzte. Eine Flasche Champagner stand bereit. Auch sie selbst paßte hervorragend in das Interieur: in ein dunkelrotes, tief ausgeschnittenes Abendkleid gehüllt, bot ihre Figur einem Mann alles, was er sich erträumte.
Von Benny war nichts zu sehen.
Georg fühlte tiefe Befriedigung, als sie ihn zuvorkommend stets zuerst mit Häppchen von einer Vorspeisenplatte versorge, die sie vom Büfett nahm, wo sich anderes noch dezent unter Deckeln und Servietten verbarg.
Ganz zum Schluß, als Georgs Bauch schon prall gefüllt war und er durch den überreichlichen Genuß des Champagners nicht mehr an eine Liebesnacht denken mochte – schließlich gab es nicht nur diese Nacht - servierte ihm Maria einen Salat.
„Nur ein Häppchen, mein Schatz“, flötete sie . „Der bringt wieder alles ins Lot, in Deinem Bäuchlein.“
Sie spießte einige grüne Blätter auf und manövrierte sie in seinen Mund.
Georg schluckte. Es schmeckte eigenartig, nicht wie Feldsalat. Er warf einen Blick auf die nächste Gabel. Ein gelblicher Saft tropfte aus den zähen Stielen, die ihm seine Frau erneut in den Mund schob. Er schluckte, um sprechen zu können.
„Was ist das für ein Zeug? Alles andere war prima, aber erspare mir noch einen Bissen davon.“
Sie nickte und nahm die Schüssel beiseite. „Es genügt auch wirklich mein Schatz. Warum hast Du mir eigentlich nie gesagt, daß Du ein Verhältnis mit Deiner ehemaligen Sekretärin hast? Und warum warst Du vor Deiner letzten Reise bei unserer Bank und hast wieder einen Teil unseres gemeinsamen Vermögens auf Dein Geheimkonto transferieren lassen?“
Wachsam wie sonst nur Benny beobachtete sie ihn. Unter ihrem Blick fühlte er sich plötzlich unendlich erschöpft. Das mußte sein voller Bauch sein, in dem es rumorte als habe er zehn Klaftersteine verschluckt.
„Ich glaube, ich brauche einen Verdauungsschnaps“, bemerkte er und wollte sich erheben. Woher wußte sie das? Sie hatte doch immer ihm alle Geschäfte überlassen. Sie konnte doch gerade mal mit ihrer Kreditkarte bezahlen, allem anderen war sie doch hoffnungslos entwöhnt.
Seine Beine versagten ihren Dienst. Erstaunt japste er und starrte seine Frau an.
Sie war aufgestanden und einige Schritte vom Tisch zurück getreten, als habe er eine ansteckende Krankheit offenbart.
Georg versuchte sich am Tisch auf die Füße zu ziehen, stellte aber mit Entsetzen fest, daß auch seine Armmuskeln ihren Dienst versagten.
„Was hast Du in den Salat getan?“ krächzte er mühsam, ehe auch seine Stimmuskulatur ihren Dienst aufgab.
Wachsam beobachtete ihn Maria, ehe sie einen kleinen Schritt zu ihm machte und ihn mit dem Finger anstupste. Er hielt seine Augen noch immer starr auf sie gerichtet, ohne auch nur noch den Kopf drehen zu können. Sein Atem ging mühsam. Sein Denken funktionierte ausgezeichnet. In seinem Kopf kreiste alles um den Salat. Sie hatte irgend ein lähmendes Kraut darunter gemischt. Er erinnerte sich angstvoll, daß Schöllkraut nicht nur eine Heil – sondern auch eine Giftpflanze war. Wieso hatte er ihre veränderte Einstellung ihm gegen über nicht bemerkt?
„Irgendwann rächt sich alles, Georg“, sagte sie. „Ich hatte das Glück, Benny zu begegnen. Es war kein Zufall, daß er ausgerechnet vor unserem Haus erschien. Er hat mir die Augen geöffnet. Du wolltest doch nur alles los sein, was Dir nicht unmittelbar einen Spaß brachte. Du hast in den letzten Jahren immer nur an Dich gedacht Ich hätte dieses Haus nicht in ein protziges Ungetüm verwandelt und Dich nie betrogen.“
Sie nahm eine Kristallschüssel vom Büffett und eine Nadel und näherte sich ihm. Er spürte einen Einstich, dann nichts mehr. Als sie sich außerhalb seines Blickwinkels befand, hörte er nur noch ihre merkwürdig entfernt klingende Stimme.
„Benny dagegen braucht wirklich ein neues Zuhause. Seine Seele war krank als sie hier erschien. Mit Hilfe Deiner stattlichen Hülle, wird alles leichter. Zu guter Letzt bist du doch noch zu etwas nutze. Du wirst mir mein Glück ermöglichen. Das tröstet mich.“
Gelähmt und innerlich vor Angst erstarrt erkannte Georg, daß sie Blut von ihm in die Schüssel hatte fließen lassen. Sie stellte sie auf den Tisch und fügte einige Tropfen von einem grünlichen Saft hinzu. Georg wußte, daß dieses Gegengift nicht für ihn bestimmt war.
Langsam verschwamm ihr rotes Kleid zu einem Fleck in seinem Bewußtsein. Seine letzten Wahrnehmungen zeigten den jungen Mann neben Maria.
Er war zwar immer noch blaß, aber ein bißchen frisches, belebendes Blut würde das wohl ganz schnell ändern.
Sie küßten sich hingebungsvoll.
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